Als ich vor gut 10 Jahren angefangen habe mich für die Themen rund um die Bar zu begeistern, steckte die Bar wie wir sie heute kennen noch in den Kinderschuhen.
Frisch gepresste Säfte hielten langsam aber sicher auch außerhalb der High End Trinktempel Einzug. Zutaten wie ein frischer Zweig Rosmarin im Getränk sorgten bei Gästen, wie auch bei Bartendern in gleicher Weise für Ekstase. Man begann sich flächendenkend Gedanken über Dinge wie „Cocktail-DNA“, „Craft Cocktails“ und „Cuisine Style“ zu machen und besann sich auf die Herkunft und Entstehung des Handwerks. Dank des Internets war es möglich, sich schnell zu vernetzen und Informationen auszutauschen. Es bildeten sich kleine und größere Netzwerke und man begann auch langsam seine Fühler nach internationalen Gefilden auszustrecken. Es entstanden die ersten großen Barmessen und die „Szene“ rutschte näher zusammen.
Eine Phase in der sowohl Gäste als auch Bartender die Welt der Cocktails wiederentdeckten und sich die Qualität der Drinks als auch die der verwendeten Spirituosen rasant entwickelte.
Immer mehr Bartender tauchten immer tiefer in ihr Handwerk ein, wälzten Bücher aus dem mittleren 19ten Jahrhundert, immer auf der Suche nach dem authentischsten Cocktail. Ergänzt wurden die neu gewonnen, oder besser, wieder gewonnen Erkenntnisse mit den Mitteln und Möglichkeiten der zeitgemäßen Technik. Man testete und untersuchte, wann ein Zitrussaft sein Optimum erreicht, welche Temperatur das perfekte Eis haben muss und welchen Einfluss verschiedene Techniken des Shakens auf den fertigen Cocktail haben. Das förderte das Verständnis für die Materie und hob die Qualität auf ein bis dahin unbekanntes Level.
Aber es gab auch weniger erfreuliche Entwicklungen die ihre Schatten bis in die heutige Zeit werfen.
Es ließ sich beobachten, dass sich immer mehr Bartender und Gastgeber in ihren Produkten verloren. Der Fokus verschob sich vom Gast auf den Cocktail. Die vermeintliche Qualität und Authentizität des Drinks wurde wichtiger als die Vorlieben derer, die dafür zahlten. Man lebte in seiner eigenen Welt, bestätigt von all jenen die sich in den sozialen Medien in der gleichen Blase bewegten und verlor das wesentliche aus den Augen. Der Gast wurde mancherorts zum notwendigen Übel des Berufs. Wer den Bartender und seine Kreationen preiste, ihm an den Lippen hing während er einen Monolog über die Anfänge der Cocktailkultur und seiner neusten Kreation hielt, war ein gern gesehener Gast. Wer eine eigene Meinung hatte und sich nicht auf mit Lachs, Walhaut oder Tabak infusionierte Cocktailkreationen einlassen wollte, dem Stand es frei die Bar zu verlassen und seinen unwürdigen Gaumen anderenorts zu befriedigen.
Aber auch der Gast änderte sich. Er wurde fordernder, anspruchsvoller und kritischer. Vorbei die Zeiten in denen ein guter Barmann mit Halbwahrheiten und Revolverheldgeschichten einen Abend füllen konnte. Jede gegebene Information konnte binnen kürzester Zeit überprüft und korrigiert werden. Der Gast wurde quasi über Nacht zum „Experten“ und lies das den Profi nicht selten auch gerne wissen. Wehe dem, der es wagte den Caipirinha mit Würfeleis und weißem Rohrzucker zu shaken, wo doch jeder, der den GU 1001 Cocktail-Guide gelesen hat wissen muss, das dieser mit Crusheis und braunem Zucker bereitet wird! Stümper! Cocktailrezepte wurden von einer Niederschrift zum unantastbaren Grundgesetzt.
Teilweise schaukelten sich beide Seiten zu einem schier unerträglichen Niveau des Sich-selbst-zu-Ernst-nehmens hinauf.
Auf der Sonnenseite jedoch erkannten viele den Wert einer hochwertigen Spirituose und auch den Preis, denn man dafür bezahlen muss. Der Stand des Bartenders gewann langsam wieder an Reputation und Akzeptanz. Die Fragen, was man denn studieren und im wirklichen Leben tun würde, wurde immer seltener und man erkannte die Profession, die dahintersteckte. Man begann dem Bartender zu vertrauen, dessen Kompetenz bei der Wahl des Drinks in Anspruch zu nehmen und lies sich immer öfter auch auf ausgefallene Kreationen ein. Die Bar wurde mancherorts zum kulinarischen Erlebnis und der Gast ließ sich gerne darauf ein.
Wenn man sich diese Entwicklung ins Gedächtnis ruft und den Kaffeehochburgen der heutigen Zeit einen Besuch abstattet, drängt sich einem der Anflug eines Déjà-vus geradezu auf.
Auch der Kaffee hatte seine Schwierigkeiten im krisengeplagten Europa des jungen 20. Jahrhunderts. Auch der Kaffee, oder zumindest seine eigentlichen Qualitäten wurde vor kurzem, wieder und in vielen Bereichen auch neu entdeckt. Auch der Kaffee hat viele junge, motivierte und ambitionierte Jünger, die seine frohe, koffeinhaltige Botschaft verkünden möchten. Und auch der Kaffee kämpft mit den gleichen Begleiterscheinungen, die der Entwicklung der Cocktailkultur beiwohnten.
Die Kaffeeszene steckt aktuell in ihrer Sturm- und Drang Phase. Am liebsten würde sie der ganzen Welt zeigen, wie köstlich und vielseitig eine frisch gebrühte Tasse Kaffee sein kann.
Sie versucht jedes Detail über die kleine Bohne zu verstehen, kontrolliert und komponiert die einzelnen Bestandeile des Wassers passend zum Kaffee und füttert Kühe mit ausgewählten Kräutern um die perfekte Milch für den perfekten Cappuccino zu bekommen.
Genauso wie es vor wenigen Jahren in den Bars des Landes üblich war , wird dabei jedoch oft vergessen, wer diese Leidenschaft eigentlich finanziert.
Dieser Prozess ist leicht nachvollziehbar. Anfangs gibt es nur sehr wenige, die eine Qualität anbieten, die weit über dem des Standards liegt. Alles ist neu, aufregend und anders. Die Leute kommen um etwas Neues zu erfahren. Preis und Service sind eher nachrangig. Man möchte mitreden und nimmt dafür vieles in Kauf. Auch wenn es den Verzicht eigener Vorlieben bedeutet. Der Laden ist voll, und das nur, weil man den vermeintlich besten Kaffee hat, alles andere scheint vernachlässigbar. Ein leichtes sich der Konkurrenz und dem einzelnen Gast, der es wagt Kritik zu äußern überlegen zu fühlen.
Mit der Zeit drängt jedoch mehr und mehr Konkurrenz auf den Markt. Und auf einmal ist man gar nicht mehr so besonders. 50 Cent weniger, ein Löffel Zucker und freundlicher Service machen auf einmal einen ziemlich großen Unterschied.
Mittlerweile haben Bartender verstanden, dass die Lust auf einen Sahnecocktail dich nicht zu einem schlechten Menschen macht. Sondern einfach nur zu einem Gast, der gerne Sahnecocktails trinkt. Und wenn es keine Sahne gibt, versucht man eine Alternative zu finden, anstatt einfach das zu machen, was man selbst für das Beste hält.
Dieser Prozess fehlt in vielen guten Cafés leider noch.
Zucker und Milch sind nicht erst in den letzten Jahren ein fester Bestandteil unserer Kaffeekultur geworden. Genauso wenig wie stark gerösteter, italienischer Kaffee. Ein Großteil der Menschen kennt und mag es so.
Hell gerösteter Kaffee mit fruchtig-säuerlichen Noten hingegen ist für viele neu. Genauso, wie es damals hochprozentige Cocktails wie der Old Fashioned oder Sazerac waren. Den Gästen jetzt zu sagen, dass so, wie sie ihren Kaffee zeitlebens getrunken haben nicht genießbar ist und ihnen somit einen Mangel an Urteilsvermögen attestieren, ist keine sehr erfolgreiche Strategie.
Dabei kann es so einfach sein. Eine Trinkempfehlung reicht oft aus, um den gewohnten Löffel Zucker zu vermeiden. Wenn es dann mit Zucker trotzdem besser schmeckt, ist das auch in Ordnung.
Ich hatte viele Gäste die bei ihrem ersten hell gerösteten Kaffee das Gesicht verzogen haben und mittlerweile nichts Anderes mehr trinken möchten. Weil sie langsam an das Produkt herangeführt wurden. Erst mit Milch. Dann mit weniger Milch. Irgendwann ohne Milch. Und schließlich auch ein Filterkaffee. Es braucht Geduld. Doch wenn man diese aufbringt, werden die Gäste die Zeit, die man ihnen gewährt um das Produkt zu verstehen und lieben zu lernen, auch zu schätzen wissen.
Es ist faszinierend, wie detailliert und akribisch die Kaffeewelt mit ihren Produkten umgeht und arbeitet. Das Optimum des Kaffees scheint nur in seiner reinsten Form zu bestehen. Wasser und Kaffee. Mehr wird nicht benötigt. Eine Einstellung die sehr stark an die eines eingefleischten Single Malt Trinkers erinnert. Das höchste der Gefühle sind ein paar wenige Tropfen Wasser, am besten aus der gleichen Quelle aus der auch der Whisky entspringt. Eine wundervolle Art, einen Whisky zu genießen. Bei weitem aber nicht die Einzige.
Die Verwendung von Kaffee in anderer Form ist außerhalb von Wettbewerben eher selten anzutreffen. Ein Blick über den Tellerrand der klassischen Kaffeebereitung, ein gesundes Maß an Experimentierfreudigkeit und eine entspanntere Haltung gegenüber der Materie würde der Vielfältigkeit des Kaffees besser gerecht werden. An Kreativität mangelt es der Kaffeeszene sicherlich nicht, jedoch traut sie sich noch nicht diese voll auszuschöpfen.
Es gibt viele Dinge, die die Kaffeeszene von den begangenen Fehlern der Barszene lernen kann. Die Prozesse sind meist die gleichen. Umgekehrt ist das Thema Kaffee in vielen Bars noch immer nicht angekommen.
Es sollte also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich beide Welten näher kommen um gemeinsam voneinander zu lernen und zu profitieren. Cocktail- und Kaffeeliebhaber dieser Welt werden es ihnen danken.
In Italien ist das Wort Barista gleichbedeutend mit Bartender. Die Italiener wussten einfach schon immer, was zusammengehört.
quelle: brewing bartender